Wochenbesinnung

Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet. Psalm 66,20

Haben Sie schon vom “Manifestieren” gehört? Das ist scheinbar der neueste Trend - aus den Filmchen im Internet inzwischen in den Zeitschriften und zwischen Buchdeckeln angekommen. Man muss sich sein Leben einfach so “manifestieren”, wie man es haben will. Dabei stellt man sich etwas immer wieder ganz fest vor und schickt diese Gedanken als gewissermassen als Bestellung ans “Universum”. Und wenn man es ausdauernd genug macht und fest genug daran glaubt, dann findet man den Traumpartner oder -partnerin, bekommt gesunde, kluge und hübsche Kinder, ein tolles Auto, ein Haus, wird nicht krank und kriegt den Traumjob, in dem man natürlich erfolgreich ist.
Und wenn nicht? Dann hast du dich halt noch nicht genug “fokussiert” oder hast zu wenig Vertrauen.
Ich finde diese Vorstellung sehr eigenartig und auch bedenklich. Ganz abgesehen vom oft fehlenden Realitätsbezug ist es eine sehr egozentrische und materialistische Sache. Mindestens habe ich jedes Mal den Eindruck, wenn ich diese Leute erzählen höre. Und wer oder was ist dieses “Universum”, das einem die Wünsche erfüllen soll?
Es klingt nach einem Ersatz für Gott, eine nicht näher bestimmbare, aber anscheinend allmächtige Kraft. Und das Manifestieren kommt mir oft vor wie die Gebete kleiner Kinder - nur eben nicht mehr an “den lieben Gott” gerichtet, und ohne Amen. Aber “mach, dass ich…” und ganz feste Erwartungen und viele Wünsche: Kindergartenglauben.
Natürlich gibt es auch christliche Literatur und Predigten, in denen erklärt wird, wie ein richtiges und erfolgversprechendes Gebet auszusehen hat. Ob das nun eine bestimmte Formel am Ende ist (“Das bitten wir im Namen Jesu. Amen.”), eine Körperhaltung, bestimmte Voraussetzungen bei den Betenden, bestimmte Inhalte, für die man zuerst und andere, um die man gar nicht beten darf - auch da läuft es oft darauf hinaus, dass man prinzipiell alles von Gott bekommen kann, wenn man es nur richtig anfängt, und dass ein erhörtes Gebet mit einem erfüllten Wunsch gleichzusetzen ist. Und dass ein unerfüllter Wunsch eben zeigt, dass man etwas falsch gemacht hat und Gott das Gebet darum nicht hört, sondern es verwirft.
Mein Glaube und meine Erfahrung sehen anders aus. Ich habe vorhin von “Kindergartenglauben” geschrieben. Jesus hat uns die Kinder oft als Beispiel hingestellt. Darum ist es erst einmal wirklich nicht falsch, grosse Wünsche, viele Bitten und die feste Erwartung zu haben, dass Gott mich beschenken kann und mir Gutes tun will. Und wie Kinder, die zu den Eltern oder Grosseltern kommen, muss ich mir im persönlichen Gebet keine Gedanken machen, wie ich Gott anrede, wo ich meine Hände habe, was ich Gott erzähle und mir wünsche: Gott ist gross und geduldig (deutlich geduldiger als erwachsene Menschen, auch wenn es nette Menschen sind!) und hört auf jeden Fall zu. Gott freut sich über das Vertrauen jedes Menschen, der sein Herz öffnet. Peinliche Wünsche, Rachephantasien, “Unmögliches” - Gott darf man das sagen. Auch wenn man eigentlich ein ungläubiger oder “böser” Mensch ist, hört Gott zu. Jedes Gebet wird gehört. Aber eben nicht jede Bitte erfüllt. Manchmal bin ich im Nachhinein froh darüber, bei anderen Dingen verstehe ich es überhaupt nicht. Wäre ich einfach so gesund zu beten, dann wäre das Leben für mich und viele andere doch so viel einfacher - oder nicht? Das können sicher viele nachvollziehen. Warum greift Gott nicht ein, wo gelogen, missbraucht und terrorisiert wird? Nicht einmal da, wo es erst noch unter Gottes Namen daher kommt?
So viele Fragen bleiben offen, auf so viele drängende Bitten gibt es nicht die erhoffte Antwort. Aber, und das ist der Unterschied zum unpersönlichen Universum, ich kann auch damit zu Gott kommen. Gott ist keine ominöse Kraft, und auch kein Automat, den ich nur richtig bedienen muss. Gott ist ein Gegenüber, ganz nah dran an uns, unseren Ängsten, Hoffnungen, Trauer und Freude. An unserer Wut und unserer Ohnmacht, an unseren Träumen und unserer Kraft.
Wenn ich meinen festen Kinderglauben auf Gott richte, und auch Enttäuschung und Frust, Unverständnis und Ungeduld nicht verstecke, sondern zum Gebet mache, werde ich wie ein Kind mit der Zeit wachsen. Ich werde mehr verstehen. Ich werde vielleicht merken, dass bestimmte Gebetsrituale und Formulierungen mir selbst zur Ruhe verhelfen und ich Gottes freundliche Nähe spüre, auch wenn die Welt nicht plötzlich wie von Zauberhand heil wird. Ich werde vielleicht in manchem meine Perspektive verändern. Mein Beten wird sich verändern. Aber eines ändert sich nicht: Dass Gott mir zwar nicht jeden Wunsch erfüllt, aber immer zuhört und mir immer freundlich zugewandt ist. Mir - und allen anderen. Ich sehe plötzlich, dass ich nicht allein bin. Dass andere für mich da sein können und ich auch für sie da sein kann. Und neben Bitten und Klagen finden dann auch Dank und Staunen über Gott ihren Platz und ihren Ausdruck:
“Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.”

Pfarrerin Viola Schenk

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